Zwischen Konsens und Konflikt. Wie Paare Elternzeiten aushandeln

Authors

  • Almut Peukert Institut für Sozialwissenschaften Humboldt-Universität zu Berlin

Keywords:

Elternzeit, Elterngeld, Arbeitsteilung, Paar, Geschlecht, Väter

Abstract

Kontinuität und Wandel in den Geschlechterverhältnissen lässt sich nicht zuletzt in Aushandlungen von Paaren zur Elternzeit beobachten, in denen individuelle Präferenzen, Ideale der Lebensführung, institutionalisierte Geschlechterannahmen, familienpolitische Angebote und ökonomische Rahmungen komplex verwoben werden und dabei von den Paaren in unterschiedlichster Manier abgerufen, relevant gemacht oder negiert werden können. Im Fokus des Beitrags steht die Frage, wie Paare Beruf/Karriere und Einkommen in Aushandlungen zur Elternzeitnahme durch geschlechterdifferenzierende Zuschreibungen von Betreuungsverantwortung (ir-)relevant setzen.

Basierend auf Paar- und Einzelinterviews mit un-/gleichgeschlechtlichen Elternpaaren werden zentrale Begründungsfiguren zur Selbst- und Fremdzuschreibung von Betreuungsverantwortung diskutiert. Der systematische Vergleich der Begründungsfiguren ermöglicht eine Differenzierung von konsensuellen und konfliktbehafteten Aushandlungen zur Elternzeit und zeigt zugleich die Relevanz von Familienarbeit als eigenständigen Aushandlungsbereich. Inwiefern dabei Elternzeit als zu vermeidend und/oder erstrebenswert gilt variiert zwischen den Begründungsfiguren. Daran anknüpfend lässt sich eine ambivalente Gleichzeitigkeit von Öffnungs- und Schließungstendenzen in den Zuschreibungen von Ernährer- und Betreuungsverantwortung in paarinternen Aushandlungen konstatieren.

Die empirischen Ergebnisse zeigen zudem eindrücklich die Eigenleistung der Paare, ihre beruflichen Perspektiven und finanziellen Situationen zu interpretieren und entsprechend ‚Passungen‘ mit Elternzeitarrangements herzustellen. Deutlich wird, dass sich die ausgehandelten Zuständigkeiten für Familienarbeit nicht (allein) über Erwerbsarbeit und Einkommen verstehen lassen. Indem bspw. in einigen Studien die Elternzeitnahme von Vätern über Erwerbstätigkeit, Bildungsniveau und ökonomische Ressourcen erklärt werden soll, werden Hierarchisierungen von Erwerbs- und Familiensphäre perpetuiert und ein ‚occupational bias‘ (re-)produziert. Statt das Vorhandensein von ‚Aushandlungs- und Machtvorteilen‘ (z.B. Karrierestatus oder ein nominal höheres Einkommen) zu betrachten, gilt es in empirischen Studien stärker das Relevantsetzen und Mobilisieren bzw. Nicht-Relevantsetzen und Nicht-Mobilisieren dieser als interaktiv-emergentes Phänomen zu berücksichtigen.

References

Allan, G. 1980: A Note on Interviewing Spouses Together. Journal of Marriage and the Family, 42. Jg., Heft 1, 205–210.
Allen, S. M., Hawkins, A. J. 1999: Maternal Gatekeeping: Mothers‘ Beliefs and Behaviors That Inhibit Greater Father Involvement in Family Work. Journal of Marriage and Family, 61. Jg., Heft 1, 199–212.
Bathmann, N., Cornelißen, W., Müller, D. 2012: Gemeinsam zum Erfolg? Berufliche Karrieren von Frauen in Paarbeziehungen: Springer VS.
Behnke, C., Meuser, M. 2003: Vereinbarkeitsmanagement. Die Herstellung von Gemeinschaft bei Doppelkarrierepaaren. Soziale Welt, 54. Jg., 163–174.
Behnke, C., Meuser, M. 2004: Projekt „Doppelkarrierepaare“. Arbeitsbericht. „Immer alles am Laufen haben“ – Arrangements von Doppelkarrierepaaren zwischen Beruf und Familie. Dortmund.
Behnke, C., Meuser, M. 2005: Vereinbarkeitsmanagement. Zuständigkeiten und Karrierechancen bei Doppelkarrierepaaren. In H. Solga, C. Wimbauer (Hg.), „Wenn zwei das Gleiche tun …“. Ideal und Realität sozialer (Un-)Gleichheit in Dual Career Couples. Opladen: Budrich, 123–140.
Bennett, L. A., McAvity, K. 1994: Family Research: A Case for Interviewing Couples. In G. Handel, G. G. Whitchurch (Hg.), The Psychosocial Interior of the Family. New York: de Gruyter, 87–107.
Berger, P. L., Kellner, H. 1965: Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Abhandlung zur Mikrosoziologie des Wissens. Soziale Welt, 16. Jg., 220–235.
Coltrane, S. 1996: Family Man. Fatherhood, Housework, and Gender Equity. New York: Oxford University Press.
Deutsch, F. M. 1999: Halving it all. How Equally Shared Parenting Works. Cambridge: Harvard University Press.
Deutsch, F. M. 2001: Equally Shared Parenting. Current Directions in Psychological Science, 10. Jg., Heft 1, 25–28.
Ehnis, P. 2008: Hegemoniale Mütterlichkeit. Vom selbstverständlichen Einverständnis in die geschlechtstypische Arbeitsteilung nach der Geburt eines Kindes. In Marburger Gender-Kolleg (Hg.), Geschlecht Macht Arbeit. Interdisziplinäre Perspektiven und politische Intervention. Münster: Westfälisches Dampfboot, 56–69.
Ehrensaft, D. 1984: When Women and Men Mother. In J. Trebilcot (Hg.), Mothering. Essays in feminist theory. Totowa, N.J: Rowman & Allanheld, 41–61.
Ehrensaft, D. 1987: Parenting Together. Men and Women Sharing the Care of their Children. New York: Free Press.
Geisler, E., Kreyenfeld, M. 2011: Against all odds: Fathers’ use of parental leave in Germany. Journal of European Social Policy, 21. Jg., Heft 1, 88–99.
Gildemeister, R. 2008: Soziale Konstruktion von Geschlecht: „Doing gender“. In S. M. Wilz (Hg.), Geschlechterdifferenzen – Geschlechterdifferenzierungen. Ein Überblick über gesellschaftliche Entwicklungen und theoretische Positionen. Wiesbaden: VS Verlag, 167–198.
Gildemeister, R., Wetterer, A. 1992: Wie Geschlechter gemacht werden. In G.-A. Knapp, A. Wetterer (Hg.), TraditionenBrüche. Entwicklungen feministischer Theorie. Freiburg: Kore Verlag, 201–254.
Goffman, E. 1977: The Arrangement between the Sexes. Theory and Society, 4. Jg., Heft 3, 301–331.
Grunow, D., Schulz, F., Blossfeld, H.-P. 2007: Was erklärt die Traditionalisierungsprozesse häuslicher Arbeitsteilung im Eheverlauf: soziale Normen oder ökonomische Ressourcen? Zeitschrift für Soziologie, 36. Jg., Heft 3, 162–181.
Hahn, A. 1983: Konsensfiktionen in Kleingruppen. Dargestellt am Beispiel von jungen Ehen. In F. Neidhardt (Hg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 210–232.
Hirschauer, S. 1994: Die soziale Fortpflanzung der Zweigeschlechtlichkeit. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 46. Jg., Heft 4, 668–692.
Hirschauer, S. 2001: Das Vergessen des Geschlechts. Zur Praxeologie einer Kategorie sozialer Ordnung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 53. Jg., Sonderheft 41, 208–235.
Hirschauer, S. 2013: Geschlechts(in)differenz in geschlechts(un)gleichen Paaren. Zur Geschlechterunterscheidung in intimen Beziehungen. In C. Wimbauer, A. Rusconi, M. Motakef, B. Kortendiek, P. A. Berger (Hg.), Paare und Ungleichheit(en). Eine Verhältnisbestimmung. GENDER Sonderheft 2. Opladen: Budrich, 37–56.
Hochschild, A. R. 1989: The Second Shift. Working Parents and the Revolution at Home. New York: Avon.
Kessler, S. J., McKenna, W. 1978: Gender. An Ethnomethodological Approach. Chicago: University of Chicago Press.
König, T. 2012: Familie heißt Arbeit teilen. Transformationen der symbolischen Geschlechterordnung. Konstanz: UVK.
Koppetsch, C., Burkart, G. 1999: Die Illusion der Emanzipation. Zur Wirksamkeit latenter Geschlechtsnormen im Milieuvergleich. Konstanz: UVK.
Lupton, D., Barclay, L. 1997: Constructing Fatherhood. Discourses and Experiences. London: SAGE.
Maiwald, K.-O. 2010: Vom Schwinden der Väterlichkeit und ihrer bleibenden Bedeutung. Familiensoziologische Überlegungen. In D. Thomä (Hg.), Vaterlosigkeit. Geschichte und Gegenwart einer fixen Idee. Berlin: Suhrkamp, 251–268.
Meuser, M. 2011: Die Entdeckung der „neuen Väter“. Vaterschaftspraktiken, Geschlechtsnormen und Geschlechterkonflikte. In K. Hahn, C. Koppetsch (Hg.), Soziologie des Privaten. Wiesbaden: VS Verlag, 71–82.
Meuser, M. 2012: Vaterschaft im Wandel. Herausforderungen, Optionen, Ambivalenzen. In K. Böllert, C. Peter (Hg.), Mutter + Vater = Eltern? Sozialer Wandel, Elternrollen und Soziale Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag, 63–80.
Peukert, A. 2015: Aushandlungen von Paaren zur Elternzeit. Arbeitsteilung unter neuen Vorzeichen? Wiesbaden: Springer VS.
Reich, N. 2011: Predictors of Fathers’ Use of Parental Leave in Germany. Population Review, 50. Jg., Heft 2.
Richter, R. 2011: Väter in Elternzeit - Umsetzungen und Strategien zwischen Familie und Beruf. Dissertation. Paderborn.
Rubin, G. 1975: The Traffic in Women: Notes on the “Political Economy” of Sex. In R. R. Reiter (Hg.), Toward an Anthropology of Women. New York, London: Monthly Review Press, 157–210.
Rüling, A. 2007: Jenseits der Traditionalisierungsfallen. Wie Eltern sich Familien- und Erwerbsarbeit teilen. Frankfurt am Main: Campus.
Schulz, F., Blossfeld, H.-P. 2006: Wie verändert sich die häusliche Arbeitsteilung im Eheverlauf? Eine Längsschnittstudie der ersten 14 Ehejahre in Westdeutschland. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 58. Jg., Heft 1, 23–49.
Simmel, G. 1923: Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. München, Leipzig: Duncker & Humblot.
Strauss, A. L. 1978: Negotiations. Varieties, Contexts, Processes, and Social Order. San Francisco: Jossey-Bass.
Strauss, A. L. 1993: Continual Permutations of Action. New York: de Gruyter.
Strauss, A. L. 1994: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München: W. Fink.
Strauss, A. L., Corbin, J. 1996: Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz-Verlag.
Strübing, J. 2007: Anselm Strauss. Konstanz: UVK.
Strübing, J. 2008: Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. Wiesbaden: VS Verlag.
Trappe, H. 2013: Väter mit Elterngeldbezug: Nichts als ökonomisches Kalkül? Zeitschrift für Soziologie, 42. Jg., Heft 1, 28–51.
Vachon, M., Vachon, A. 2010: Equally Shared Parenting. Rewriting the Rules for a New Generation of Parents. New York: Penguin Group.
Vogt, A.-C. 2010: Warum Väter ihre Erwerbstätigkeit (nicht) unterbrechen: ökonomische versus sozialpsychologische Determinanten der Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter. München: Hampp.
West, C., Zimmerman, D. H. 1987: Doing Gender. Gender & Society, 1. Jg., Heft 2, 125–151.
Wrohlich, K., Berger, E., Geyer, J., Haan, P., Sengül, D., Spieß, K. C., Thiemann, A. 2012: Elterngeld Monitor. Berlin.

Downloads

Published

2017-09-06

Issue

Section

Ad-Hoc: Kontinuität und Wandel in der Familienarbeit: Über das Phänomen ›neue‹ Väter