Die soziale Funktion von "Therapieresistenz"
Abstrakte Handlungskoordination bei schwerwiegenden Depressionen
Schlagworte:
Depressionen, Medizinsoziologie, Körpersoziologie, Leibphänomenologie, GesellschaftstheorieAbstract
Seit den 1970er Jahren findet das Konzept der "Therapieresistenz" zunehmend Verbreitung in medizinisch-psychiatrischen Fachdiskursen. Der Beitrag beschäftigt sich mit der sozialen Funktion dieser neuen Semantik im Kontext des psychiatrisches Diskurses rund um die Diagnose und Behandlung schwerwiegender Depressionen. Im Anschluss an leibphänomenologische und gesellschaftstheoretische Überlegungen wird die These vertreten, dass es sich dabei um eine Form der abstrakten Handlungskoordination handelt. Mit Rückgriff auf die vier Dimensionen der Explikation, Abstraktion, Differenzierung und Inklusion wird dem Konzept der Therapieresistenz eine Scharnierfunktion zwischen psychiatrischem Fachdiskurs und klinischer Praxis zugeschrieben. Demnach handelt es sich nicht um eine Tatsache im Sinne einer evidenzbasierten Medizin, sondern um ein epistemisches Konzept, das verschiedene soziale Kontexte überbrückt und integriert.
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