Die Idee einer praxeologisch-fundierten Kompetenz-Performanz-Theorie zur Überwindung sozialer Ungleichheit in den Sozialen Dienstleistungsberufen

Autor/innen

  • Nina Weimann-Sandig Evangelische Hochschule Dresden
  • Thomas Prescher Wilhelm-Löhe Hochschule Fürth

Schlagworte:

Professionalisierung, Soziale Dienstleistungen, Professionssoziologie

Abstract

Die Corona-Krise hat die Debatte um die Bedeutung sozialer Dienstleistungen neu stimuliert. Einmal mehr wurde deutlich, dass Eltern auf die Unterbringung ihrer Kinder in pädagogischen Betreuungseinrichtungen angewiesen sind, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. In Pflegeeinrichtungen lebende Menschen und ihre Angehörigen waren während der Besuchsverbote auf fachlich gut geschultes und einfühlsames Personal angewiesen. Viele Familien nahmen Onlineangebote von Erziehungsberatungsstellen oder der Familiensozialarbeit gerne und häufig in Anspruch. Tatsächlich hat sich das Bild von den Sozialen Dienstleistungsberufen in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren gewandelt hat: es geht heute beispielsweise um die Wertschätzung der Kindertagesbetreuung als Ort der frühkindlichen Bildung und nicht nur als Betreuungsmöglichkeit. Insofern scheint es lohnend, die Professionalisierungsdiskurse und Professionsansprüche der Sozialen Dienstleistungen, welche sich aus den Berufsfeldern frühkindliche Bildung und Betreuung, Soziale Arbeit und den Gesundheits- und Pflegeberufen zusammensetzen, genauer zu analysieren. Die soziologische Auseinandersetzung mit den Sozialen Dienstleistungsberufen erfolgte bisher zumeist im Bereich der Care-Debatten oder im Rahmen genderspezifischer Fragestellungen. Im Feld der Professionssoziologie ist die Verankerung der Sozialen Dienstleistungsberufe jedoch relativ neu. Dennoch zeigten die Debatten der Sektion Professionssoziologie beim Soziologentag 2020, wie wichtig eine soziologische Reflektion dieses Berufssektors und des damit zusammenhängenden Phänomens der sozialen Ungleichheit ist. Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der spezifischen Fragestellung auseinander, warum die Sozialen Dienstleistungsberufen trotz ihres Berufsethos der Reduktion sozialer Ungleichheit, diese im professionellen Handeln der Fachkräfte oftmals reproduzieren. Entwickelt wird dementsprechend die Idee einer praxeologisch-orientierten Kompetenz-Performanztheorie, welche den derzeitigen Stand der Professionalisierung Sozialer Dienstleistungsberufe weniger aus subjektiver und vielmehr aus organisationaler Perspektive hinterfragt.

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Veröffentlicht

2021-07-28

Ausgabe

Rubrik

Sektion Professionssoziologie: Soziale Ungleichheit und professionelles Handeln