Vulnerabilität – Sensibilisierung - Fremderfahrung

Eine phänomenologische Skizze zur Analyse extremer Erfahrungen Anderer

Autor/innen

  • Claudia Peter ehemals Goethe-Universität Frankfurt
  • Marc Strotmann

Schlagworte:

Erfahrungsbildung, Phänomenologie, Vulnerabilität, Fremderfahrung, Sensibilisierung

Abstract

Im Folgenden wird eine Konzeptualisierung von Verletzbarkeit vorgestellt, die aus der Auseinandersetzung mit empirischen Beobachtungen unserer Forschung gewonnen wurde. Diese Überlegungen haben an zwei Punkten ihren Ausgang genommen: Zum einen ist nach unserer Ansicht die bisherige Begriffsarbeit zu Verletzbarkeit (zu) sehr durch Abstrahierungen geprägt. In Absehung, diese direkt vom konkreten Subjekt herzuleiten und in ihrer je spezifischen Formation auszuweisen, wird sie stattdessen, quasi in anderer Richtung, zugeschrieben. Zum anderen ist – wenn man sich die bisherige empirische Forschung dazu anschaut – zu konstatieren, dass es bisher nicht gelungen ist, auf die phänomenale Ebene zu gelangen.

Wir konzipieren Verletzbarkeit als ein Latenzphänomen, das im Falle von Patienten auf einer Exponiertheit gründet. Exponiertheit bestimmen wir als einen – im Gegensatz und in Relation zu den mitweltlich Anderen – verschobenen Spielraum der eigenen Betreffbarkeit. Betroffen zu sein ist dabei nicht mit einem permanenten Zustand gleichzusetzen, sondern mit einem Grad der Affizierbarkeit, des Angesprochen- und/oder Angestoßen-Werdens durch etwas, das sich einer unmittelbaren und reflexiv zu vermittelnden Sinnbildung entzieht. Wenn Verletzbarkeit, wie wir es hier in Anspruch stellen, vor allem durch seine Exponiertheit charakterisiert und markiert wird, dann berühren wir Latenzphänomene, welche sich in verschiedenen Subtilitätsgraden zeigen. Im sich Entziehenden zeigt sich schon ein noch unbestimmtes Etwas. So, wie sie übersehen werden können, können sie auch bemerkt werden: Latenzphänomene. So, wie sie nicht schon manifest sind, sind sie aber dennoch schon ‚da‘, erscheinen aber noch nicht oder nicht gänzlich. In dieser Latenz sind sie noch offen und unabgeschlossen und davon abhängig, ob und wie an sie – eben auch durch die Anderen – angeschlossen wird.

Diese spezifischen Formen der Verletzbarkeit der Patienten haben also zwei Dimensionen: (1) aufgrund der leibkörperlichen Veränderungen, den Symptomen, durch die Krankheit selbst oder die Therapien stellen sie ein spezifisches Potential dar und (2) dieses Potential stiftet eine besondere Form der Beziehungserfahrung zwischen den Patienten und den Anderen, die (nicht) sensibilisiert darauf zu antworten verstehen (Vermeidung oder Zustandekommen von Verletzungen). Abschließend werden wir uns vor allem der zweiten Dimension zuwenden, um zu erörtern, inwieweit aus einer Verletzbarkeit eine manifeste Verletzungserfahrung entstehen kann, aber nicht muss.

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Veröffentlicht

2021-06-16

Ausgabe

Rubrik

Ad-hoc: Sensibilitätskonflikte. Verletzbarkeit und Resilienz im gesellschaftlichen Spannungsfeld