Feministische spekulative Fabulation und die Frage der Bevölkerung im Anthropozän

Autor/innen

  • Josef Barla Goethe-Universität Frankfurt am Main

Schlagworte:

Donna Haraway, Feministische Theorie, Anthropozän, Bevölkerung, spekulative Fabulation, reproduktive Gerechtigkeit, Verwandtschaft, Neomalthusianismus

Abstract

Vor dem Hintergrund des sechsten großen Artensterbens und multipler ineinander verschränkter planetarer Katastrophen rücken alte und neue Fragen von Bevölkerung ins Zentrum politischer Diskurse. Während feministische Interventionen ‚Bevölkerung‘ als biopolitisches Werkzeug begriffen und die Kritik am Konzept der Bevölkerung bzw. die Forderungen nach einer Reduktion dieser als zutiefst verwurzelt in rassistischen und kolonialen Imaginationen verorteten haben, werden zunehmend Stimmen laut, die betonen, dass ‚wir‘ es ‚uns‘ im Anthropozän nicht mehr leisten könnten, die Frage der Bevölkerung auszuklammern. Über eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ruf nach einer feministischen Aneignung der Frage der Bevölkerung, erschließt der Aufsatz, inwieweit die ökologische Mobilisierung der Frage der Bevölkerung tatsächlich eine überzeugende Antwort auf das Anthropozän sein kann. Hierfür wird Haraway durch Haraway gelesen, ist es doch sie, die stets betont hat, dass es von Gewicht ist, welche Erzählungen Erzählungen erzählen. Dabei wird argumentiert, dass Haraway den Einwand zu voreilig beiseite wischt, dass ihre Figur des Chthuluzäns und das Konzept der Bevölkerung nicht so ohne Weiteres von rassistischen Imaginationen, kolonialistischer Gewalt und biopolitischen Praktiken des Zählens und Verwaltens von Leben und Sterben entkoppelt werden können. Zugleich soll Haraway aber auch gegen eine verkürzte Kritik verteidigt werden, die ihr einen misanthropischen Populationismus und die Abkehr vom Materialismus zugunsten eines unkritischen Idealismus vorhält. In Auseinandersetzung mit der Verschränkung von Bevölkerung, Verwandtschaft und Auslöschung im Anthropozän wird schließlich der Beitrag feministischer spekulativer Fabulation als Ressource für widerständige Praktiken der Verweltlichung besprochen. Weit entfernt von einem unkritischen Idealismus, der Denken zur alleinigen Grundlage von Erfahrung erklärt und dabei die dynamische Eigensinnigkeit und Materialität der Welt untergräbt, wird für ein Verständnis von spekulativer Fabulation als eine materielle Praxis des Inbeziehungtretens und des Antwortens mit der Welt als Teil dieser plädiert.

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Veröffentlicht

2021-09-03

Ausgabe

Rubrik

Sektion Frauen- und Geschlechterforschung: Umweltkatastrophen, Solidaritäten und ›Science Fiction‹. Feministische Analysen von Ökologien und Naturverhältnissen