Macht Minderheitenstatus differenzaffin?
Das Beispiel einer schwul-lesbischen Organisation in Deutschland
Keywords:
zivilgesellschaftliche Organisationen, Migration, Differenzen, Organisationsidentität, Diversität, organisationaler Wandel, LSBTIQAbstract
Die Auseinandersetzung zivilgesellschaftlicher Organisationen mit Migration und migrationsbedingter Diversität ist Neuland für die Forschung. Der Beitrag präsentiert Ergebnisse eines Projekts (ZOMiDi), das für ausgewählte zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland empirische Erkenntnisse erarbeiten und auf dieser Basis theoretische Überlegungen zu Dynamiken des Wandels in diesem Organisationstypus vorlegen will. Im Mittelpunkt steht hier eine Organisation zunächst von Schwulen, dann auch von Lesben in Deutschland.
Ein Bekenntnis zur Vielfalt der Gesellschaft gehörte seit seiner Gründung zur Programmatik dieses Verbandes. Die Forderung nach Anerkennung individueller Verschiedenheit war und ist für Menschen, deren sexuelle Identität lange kriminalisiert wurde, zentraler Baustein einer Akzeptanz der eigenen Verschiedenheit als Teil gesellschaftlicher Normalität. Trotzdem verlief die Auseinandersetzung mit der migrationsbedingten sozio-kulturellen Diversität nicht konfliktfrei. Der Beitrag erklärt die konflikthafte Entwicklung der Positionen dieses Verbandes Schwuler und Lesben seit den 1990er Jahren als Ausdruck zweier Spannungsfelder. Einmal ist dies die Koexistenz von Vorstellungen von Vielfalt und Community/Gemeinschaft. Zweitens ist die Unterscheidung zwischen Migrant*innen innerhalb der eigenen schwullesbischen Bevölkerungsgruppe und außerhalb, in der Gesellschaft im Allgemeinen, zentral für das Verständnis dieser zivilgesellschaftlichen Organisation. Haltungen zu Migrant*innen, so unser Argument, ergeben sich nicht unmittelbar aus dem Minderheitenstatus, sondern vermittelt über organisationsspezifische Selbstverortungen oder Positionsbestimmungen der Organisationsidentität.
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