Jugendkulturen in der digitalisierten Moderne: Neue Visualitäten?

Autor/innen

  • Lea Puchert EU FH Rostock

Schlagworte:

Digitale Medien und Jugendkulturen

Abstract

Im gegenwärtigen Zeitalter der „digitalisierten Moderne“ (Baecker 2018) sind das Alltagshandeln, die Alltagsräume und die Sozialisationskontexte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zunehmend von digitalen Medien durchdrungen (vgl. Kutscher 2013, S. 1). Die digitalisierten Alltags-, Bildungs- und Freizeitwelten für Jugendliche sind somit einerseits zu zentralen Sozialisationsinstanzen, andererseits aber auch zu bedeutsamen Erfahrungskontexten für die Herausbildung sozialer Identitätskonstruktionen und jugendkultureller Vergemeinschaftungsformen avanciert. Auch in der öffentlichen und medialen Debatte kommt digitalisierten Alltagskulturen von Heranwachsenden eine zunehmend stärkere Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit zu. Deutlicher denn je zeigt sich dies etwa in der aktuellen Corona-Krisenzeit. Der so durch digitale Medien eröffnete neuartige soziale Raum jugendlicher Alltagskultur erschütterte nicht nur die typische jugendbezogene Freizeit- und Kulturindustrie in ihren Grundfesten und besiegelte teilweise das Ende einer ganzen Ära an bis dahin dominierenden Jugendindustrien, sondern er durchdringt und überformt auch insbesondere die sozialen Strukturen und kulturellen Ausdrucksformen von Jugendlichen. Vor allem mit den neuen digital generierten Jugendszenen (die computer/-spielebezogenen Szenen mit ihren spezifischen Subgruppen; die Visual Kei-Szene; die C-Walk-Szene; die Nerds) zeichnet sich noch deutlicher ein Strukturwandel der Öffentlichkeit – mithin eine Verlagerung vom öffentlichen-urbanen Raum hin zum virtuellen Cyberspace – und, so die jugendtheoretische These dieses Beitrags, ein Strukturwandel jugendlicher Lebenswelten und Alltagskulturen durch digitale Medien ab. Jedoch ist bislang noch wenig erforscht, welche strukturellen Wandlungsprozesse sich denn konkret für die Jugendphase ausmachen lassen und welche Änderungen insbesondere die Lebenswelten und Vergemeinschaftungen von Jugendlichen durch digitale Medien erfahren. Auch fehlt es bis dato an systematischen theoretischen und empirischen sozialwissenschaftlichen Analysen zur Bedeutung von digitalen Medien für die klassischen und neu entstehenden jugendkulturellen Szenen. Dabei scheint insbesondere das Thema „Visualität“, etwa im Sinne von Sichtbarkeit, Sichtbarmachung und Sichtbarwerdung, eine bedeutsame und vielschichtige Rolle zu spielen: von klassischen jugendkulturellen Szenen, die durch digitale Medien eine Revitalisierung und über ihre vormals lokale Begrenzung hinaus auch stärkere globale Verbreitung erfahren sowie neue Szene-Produkte und Interaktionsformen hervorbringen – damit ihre unmittelbare Visualität letztlich nicht nur transformieren, sondern auch verstärken (FanArt, Gothics, Sprayer); über digital generierte Jugendkulturen, die ihre Bedeutung erst durch die sichtbare Präsenz im Internet erhalten (C-Walk) bis hin zu jugendkulturellen Akteuren, die demgegenüber gerade die Unsichtbarkeit im digitalen Raum suchen (Nerds, Hacker).

Der hier eingereichte Beitrag setzt an dieser wissenschaftlichen Leerstelle an und versucht in einem ersten Schritt, die vorliegenden Erkenntnisse zu digitalisierten Jugendkulturen in systematisierender Form aufzuarbeiten und pointiert darzustellen. In einem zweiten Schritt soll am Beispiel der Jugendkultur der Nerds die Dynamik, Ambivalenz und Entwicklungsdimension jugendkultureller Phänomene im Kontext gegenwärtiger gesellschaftlicher Transformationsprozesse illustriert werden. Entworfen wird dabei eine erste topographische Skizze zur Nerd-Jugendkultur, die auf deren zunehmende Bedeutung aufmerksam macht. Dabei wird deutlich, dass die Jugendszene der Nerds von ihrer ehemals soziokulturellen Marginalisierung mittlerweile auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. So hat sich der Typus des Nerds von einem ehemals mobbinggefährdeten sozialen Außenseiter zum Leitbild einer hippen technikkulturellen Avantgarde oder zum Prototyp eines anarchischen Hüters digitaler Grundrechte in der forcierten Mediengesellschaft entwickelt. Daran anschließend soll in einem dritten Schritt die Bedeutung digitaler Medien für die Lebenswelten und Alltagskulturen von Jugendlichen im 21. Jahrhundert jugendtheoretisch resümiert werden.

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Veröffentlicht

2021-09-23

Ausgabe

Rubrik

Sektion Jugendsoziologie: Jugend in Bewegung. (Un)Sichtbarkeiten in gesellschaftlichen Transformationsprozessen