Kommunikativer Konstruktivismus und Gewaltwissen
Schlagworte:
Wissenssoziologie, Gewalt, Wissenssoziologie der Gewalt, Kommunikativer KonstruktivismusAbstract
Bei diesem Text handelt es sich um das Manuskript eines Impulsvortrags, der die Grundzüge einer kommunikationskonstruktivistischen Perspektive auf das Wissen über Gewalt vorstellt. Aus der Perspektive des Kommunikativen Konstruktivismus ist Wissen über Gewalt mit einer De-Zentrierung des Subjekts und einer Hinwendung zur Performativität, Materialität sowie Sequenzialität von gewaltsamen und gewaltbezogenen Situationen verbunden. Gewaltwissen wird hierbei erst im kommunikativen Handeln beobachtbar und wirksam. Dieses Handeln bezieht sich auf das verkörperte Subjekt, auf Andere sowie jene Objektivierungen, die von den Beteiligten als Teil der gemeinsamen Umwelt wahrgenommen werden. Aufgrund dieser Akzentuierung steht nicht „das Wissen“ über Gewalt im Mittelpunkt der Analyse, sondern der Fokus gilt den Kommunikationsprozessen, aus denen Gewaltwissen hervorgeht. Denn Wissen über Gewalt, welches in einer Situation von Relevanz ist bzw. aus dieser hervorgeht, ist stets vermittelt. In dieser Hinsicht kommt insbesondere den Objektivierungen von Gewalt ein hoher Stellenwert zu – seien es z.B. bestimmte gewaltbezogene Begriffe und Redewendungen, Schreie, Narben und Wunden, Mahnmale, Gesetzestexte oder Waffen(gebrauch). Objektivierungen sind die Voraussetzung dafür, dass ein subjektives Wissen über Gewalt in den gesellschaftlichen Wissensvorrat eingespeist werden kann. Daran geknüpft ist zugleich die Frage nach der Mediatisierung von Gewalt, d.h. der Einbettung von Gewaltphänomenen in einen mit dem Medienwandel verbundenen Wandel des kommunikativen Handelns. Dies wird einerseits in Gewaltsituationen deutlich, in denen beispielsweise gegenwärtig zunehmend auch Smartphones und Camcorder als Aufzeichnungsmedien zum Einsatz kommen. Andererseits zeigt sich die Mediatisierung auch im Diskurs um Gewalt, wenn z.B. in dem Social-Media-Bereich oder der massenmedialen Berichterstattung (audio-)visuelle Aufzeichnungen von Gewalthandlungen eingebunden werden.
Der Text verdeutlicht, dass der Kommunikative Konstruktivismus somit den Blick für das kommunikative Handeln, die Objektivierungen sowie die Mediatisierung im Wissensfeld der Gewalt öffnet.
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