„Ich habe ihm gesagt, dass ich keinen Krieg in meinem Land brauche, wenn ich Krieg in meinem eigenen Haus habe“
Selbst- und Fremdzuschreibungen Geflüchteter in Deutschland in einer Zeit von Mehrfachkrisen
Schlagworte:
Migrationsforschung, Geschlechterforschung, Westbalkan, sichere Herkunftsstaaten, Flucht und Asyl, epistemische GewaltAbstract
Der Beitrag möchte aufzeigen, welche Diskrepanz zwischen den Fremdzuschreibungen und den Selbstzuschreibungen von Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ besteht, die nach Deutschland geflüchtet sind – und wie sich diese Diskrepanz auf die Frage der Teilhabe auswirkt. Dafür werden im Folgenden die Interpretationen und Praktiken Geflüchteter in Bezug auf Teilhabe analysiert und in den Kontext diskursiver und struktureller Ungleichheit gesetzt. Im Mittelpunkt steht das Fallbeispiel einer Frau, die mit ihren Kindern vor der Gewalt ihres Ehemanns aus Albanien nach Deutschland geflüchtet ist. Eine besondere Herausforderung besteht darin, Gewalt im Zusammenhang mit Flucht und Migration zu adressieren, ohne ein negatives Othering zu stärken und ohne die Viktimisierung migrantischer Frauen wissenschaftlich zu reifizieren. Um dieser Herausforderung zu begegnen, erscheint ein breit angelegter Gewaltbegriff nützlich, der imstande ist, die verschiedenen Dimensionen der Verunmöglichung von Teilhabe – im Herkunftsland und in Deutschland – offenzulegen. Darüber hinaus werden aus einer subjektorientierten Perspektive gleichermaßen die Strategien herausgestellt, mit deren Einsatz es Geflüchteten gelingen kann, Handlungsmacht selbst unter Bedingungen massiver Exklusion zu erlangen beziehungsweise aufrechtzuerhalten.
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