Konfliktärer Akkumulationsprozess und symbolische Verdichtungen

Eine staatstheoretische Perspektive auf Vergesellschaftungsprozesse in EU:ropa

Autor/innen

  • Johannes Gerken Universität Kassel

Schlagworte:

Europäische Union, EU-Staatlichkeit, Euro-Krise, Bourdieu

Abstract

Um Vergesellschaftungsprozesse in EU:ropa über Zeitdiagnosen hinausgehend zu fassen, schlägt dieser Beitrag einen staatstheoretischen Zugang vor, in dem Polarisierungen, konfligierende Leitbilder und Widersprüchlichkeiten zentral eingedacht werden. Mit Fokus auf die Europäische Union (EU) entwickelt der Beitrag hierbei im Anschluss an die materialistische Staatstheorie und Bourdieus staats- und feldtheoretische Überlegungen ein analytisches Verständnis der sich herausbildenden EU-Staatlichkeit. In dieser staatstheoretischen Perspektive auf Vergesellschaftungsprozesse in der EU wird Staatlichkeit als Verhältnis, Prozess, Projekt und Praxis konzipiert und Staatlichkeitsgenese als ein gesellschaftlich umkämpfter und somit konfliktärer Akkumulationsprozess begriffen. In ihm werden Machtressourcen konzentriert, die sich in spezifischer Form symbolisch verdichten. Wenn nicht hegemonial verankert, können diese symbolischen Verdichtungen selber wiederum neue gesellschaftliche Spannungs- und Polarisierungslinien hervorrufen, wie anhand des konfliktären Akkumulationsprozesses während der Euro-Krise verdeutlicht wird.

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Sektion Europasoziologie: Wofür steht EU:ropa? Widersprüchliche Befunde zur Polarisierung Europas