Polarisierende Katastrophen – katastrophale Polarisierungen
Schlagworte:
Katastrophensoziologie, Risikosoziologie, Natur-Gesellschaft-VerhältnisAbstract
Durch Pandemie, Klimaprognosen oder Fluten rückten Katastrophen global wie auch in Deutschland verstärkt in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Zwar lösen Katastrophenereignisse oft unmittelbare Hilfsbereitschaft und Solidarisierung aus, sie bergen aber zugleich Polarisierungspotenziale. Zum einen wird im Nachgang katastrophaler Ereignisse über Verantwortlichkeiten gestritten. Zum anderen erweisen sich die tatsächlichen Betroffenheiten i.d.R. als ungleich verteilt oder bestehende Ungleichheiten verschärfend, sei es zwischen sozialen Statusgruppen, zwischen den Generationen, Regionen oder Staaten. Dabei werden die Polarisierungen nicht durch vermeintliche Naturkatastrophen forciert, die als „äußere“ Ereignisse die Gesellschaft heimzusuchen scheinen. Vielmehr sind es zahlreiche vorauslaufende, akute oder folgenbearbeitende Maßnahmen – oder ihr Unterlassen –, die soziale „Gräben“ ausheben oder vertiefen. Polarisierende Teilungen in Außen und Innen, Natur und Gesellschaft, einschließlich Natur- und Sozialwissenschaft, verstellen aber den Zugang zu einem angemessenen Verständnis. Nach wie vor dominieren naturwissenschaftlich-technische Perspektiven auf Katastrophen, während ihr sozio-kulturelles Verständnis noch wenig Eingang in die Katastrophenforschung und deren öffentliche und politische Berücksichtigung findet. Und schon im Vorfeld von erwartbaren Katastrophen, also im notwendig mit Ungewissheiten behafteten Bereich von Risikowahrnehmungen, Risikoanalysen und präventiven Aktivitäten, sind Polarisierungen zu beobachten. Solange das Ereignis noch nicht eingetreten ist oder die konkreten Auswirkungen lediglich als mehr oder weniger fundierte Prognosen erscheinen können, bleibt viel interpretativer Spielraum. Apokalyptische Szenarien stehen der Leugnung jedweder Gefährdung gegenüber.
Soziologisch beginnt die Katastrophe bereits mit ihrer polarisierenden Gegenüberstellung zum und ihrer Ausblendung im gesellschaftlichen Alltag. Um Katastrophenrisiken zu mindern, müssen sie aber dauerhaft in geeigneter Weise berücksichtigt werden. Die Beiträge der Ad-Hoc-Gruppe widmen sich empirisch und konzeptionell verschiedenen katastrophenbezogenen Polarisierungen oder/und zeigen Optionen auf, wie die Überwindung solcher Polarisierungen Katastrophenrisiken verringern könnte.
Literaturhinweise
Beck, Ulrich. 1986. Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
BMI (Bundesministerium des Innern und für Heimat). 2022. Deutsche Strategie zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen. Umsetzung des Sendai Rahmenwerks für Katastrophenvorsorge (2015–2030) – Der Beitrag Deutschlands 2022–2030. Berlin. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bevoelkerungsschutz/BMI22017-resilienz-katastrophen.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Zugegriffen: 28. Jan. 2023).
Clausen, Lars. 2003. Reale Gefahren und katastrophensoziologische Theorie. Soziologischer Rat bei FAKKEL-Licht. In Entsetzliche soziale Prozesse: Theorie und Empirie der Katastrophen, Hrsg. Lars Clausen, Elke M. Geenen und Elísio Macamo, 51–76. Münster: Lit-Verlag.
Dombrowsky, Wolf R. 2008. Zur Entstehung der soziologischen Katastrophenforschung – eine wissenshistorische und -soziologische Reflexion. In Naturrisiken und Sozialkatastrophen, Hrsg. Carsten Felgentreff und Thomas Glade, 63–76. Berlin: Spektrum Akademischer Verlag.
KFS (Katastrophenforschungsstelle). 2022. Forschung der KFS zu den Starkregenereignissen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz 2021 – 1 Jahr danach. Mit Beiträgen von Cordula Dittmer; Sara T. Merkes & Theresa Zimmermann; Nicolas Bock, Sidonie Hänsch & Anja Rüger. Disaster Research Blog. https://blogs.fu-berlin.de/disasterresearchblog/archive/91#_ftnref1 (Zugegriffen: 28. Jan. 2023).
UNU (United Nations University – Institute for Environment & Human Security). 2021. Interconnected Disaster Risks. [Autoren: O’Connor, Jack; Eberle, Caitlyn; Cotti, Davide; Hagenlocher, Michael; Hassel, Jonathan; Janzen, Sally; Narvaez, Liliana; Newsom, Amy; Ortiz Vargas, Andrea; Schütze, Simon; Sebesvari, Zita; Sett, Dominic; and Yvonne Walz]. https://interconnectedrisks.org/) https://ehs.unu.edu/media/in-the-media/interconnected-disaster-risks-report-featured-in-the-news-globally.htm (Zugegriffen: 28. Jan. 2023).
Voss, Martin. 2006. Symbolische Formen. Grundlagen und Elemente einer Soziologie der Katastrophe. Bielefeld: transcript.
Downloads
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Copyright (c) 2023 Polarisierte Welten. Verhandlungen des 41. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2022
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell 4.0 International.
Beiträge im Verhandlungsband des 41. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Bielefeld werden unter der Creative Commons Lizenz "Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International (CC BY-NC 4.0)" veröffentlicht.
Dritte dürfen die Beiträge:
-
Teilen: in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten
-
Bearbeiten: remixen, verändern und darauf aufbauen
unter folgenden Bedingungen:
-
Namensnennung: Dritte müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden
-
Nicht kommerziell: Dritte dürfen das Material nicht für kommerzielle Zwecke nutzen