„Man muss nicht immer alles so ernst nehmen“
Über Aushandlung von Forschungspraxis in interdisziplinären Forschungsgruppen
Schlagworte:
Forschungsethik, Interdisziplinarität, Aushandlungsprozesse, Datenschutz, Interviewforschung, MethodologieAbstract
Der Beitrag betrachtet Aushandlungsprozesse im Umgang mit Forschungsethik innerhalb inter- und transdisziplinärer Forschungsgruppen anhand empirischer Beispiele aus einem Stadtforschungsprojekt. Dabei zeigen sich praktisch auftretende Herausforderungen im Umgang mit Interviewdaten, die von den Akteur*innen gelöst werden müssen. Fokussiert werden hier insbesondere Situationen, in denen invasive Momente in Gesprächen auftreten und daran anschließende Aushandlungsprozesse sichtbar werden. Daraus leiten sich Implikationen für praktische Lösungen ab, die bisher noch lückenhaft in der soziologischen Methodenausbildung thematisiert und gelehrt werden. Die vorliegenden Praxisbeispiele werden aus einer ethnomethodologischen Perspektive heraus betrachtet und die ethnografisch erhobenen audiovisuelle Transkriptionsdaten dabei sequenzartig mithilfe der Konversationsanalyse untersucht. Drei empirische Schlaglichter verdeutlichen die situative Positionierung disziplineigener Ethikverständnisse, die Auslotung von Vertrauenszusagen und das Anstreben kompromissorientierter Lösungen. Ethik schwankt innerhalb des interdisziplinären Aushandlungsprozesses zwischen einem hohen Grad der Einhaltung sozialwissenschaftlich-ethischer Prinzipien und einer absoluten Ergebnisorientierung und Prozessoptimierung. Abschließend wird die Einbindung von Forschungsethik als „Konstrukt“ im interdisziplinären Kontext in die Methodenlehre als eine Handlungsempfehlung, im Sinne bestimmter praktischer Lösungsvorschläge, für die qualitativ soziologische Arbeits- und Forschungspraxis formuliert.
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