„Machen Sie ihm doch seine Lieblingssuppe“
Gefühls- und Emotionsarbeit in Dienstleistungsbeziehungen der ambulanten Palliativversorgung
Keywords:
Dienstleistung, Interaktionsarbeit, Gefühls- und Emotionsarbeit, Care, Palliative Care, GeschlechtAbstract
Bei personenbezogenen Dienstleistungen ist die Ko-Produktion von Leistungsgeber/‑in und Leistungsnehmer/‑in zentral. Dienstleistungen wird daher Potential zugeschrieben, Machtasymmetrien und gesellschaftliche Polarisierungen im konkreten Miteinander abzumildern (Dunkel und Weihrich 2014). Im Gesundheitsbereich sind Rollen im Rahmen der „Dienstleistungsbeziehung“ typischerweise asymmetrisch angelegt. Sie basieren auf Seiten der professionellen Akteur/‑innen auf Fachautorität, während es sich bei den Adressat/‑innen oft um vulnerable Gruppen handelt. Palliative Care, die Begleitung und Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden, hat den Anspruch, den Belangen der Patient/‑innen absoluten Vorrang zu geben, auch vor professionellen oder organisatorischen Erwägungen. Sie kann damit als Versuch gewertet werden, das klassische asymmetrische Verhältnis „umzukehren“.
Ausgehend von diesen Überlegungen beleuchtet der Beitrag die Interaktionsarbeit von Akteur/‑innen der ambulanten Palliativversorgung mit einem Fokus auf die Gefühls- und Emotionsarbeit, bei der geschlechtsspezifische Erwartungen aufscheinen. Die Auswertung stützt sich auf das Konzept der Interaktionsarbeit (Böhle und Weihrich 2020), das zwischen Gefühls- und Emotionsarbeit unterscheidet, wobei die Gefühlsarbeit die Beeinflussung der Gefühle anderer bezeichnet, während Emotionsarbeit die eigenen Gefühle in Übereinstimmung mit Gefühlsregeln bzw. Erwartungen bringt. Zwei Aspekte werden herausgearbeitet: Erstens leisten auch Patient/-innen und Angehörige Gefühls- und Emotionsarbeit. Zweitens werden anhand der geschilderten Gefühle bzw. Emotionen Herstellungs- und Umkehrungsprozesse von Asymmetrien erkennbar.
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