Editorial
Abstract
Wissen Sie noch, warum Sie sich entschieden haben Soziologie zu studieren? Und wurde Ihre mehr oder weniger hehre Motivation in den ersten Studiensemestern bestätigt oder eher zertrümmert (um sich dann hoffentlich neu zu formieren)? Peter Berger beklagte augenzwinkernd schon 1963 in seiner »Einladung zur Soziologie«, dass viele seiner Studierenden sich von der Soziologie zunächst eine Art universitäre Begegnungsstätte für Menschenfreunde oder Sozialreformer erhoffen – und dann erst einmal bitter enttäuscht werden müssen. Von einer ähnlichen Motivlage bei Studienanfängerinnen und Studienanfängern im BA Soziologie berichtet Sabine Ritter auch 2017 noch im Symposion »Soziologie und Schule« in diesem Heft, das einen Teil der Arbeit des gleichnamigen DGS-Ausschusses unter Vorsitz von Reiner Keller dokumentiert. Die Autorinnen und Autoren tragen dabei Befunde zusammen, die die Verdrängung soziologischen Wissens aus den Unterrichts- und Lehrplänen durch eine zunehmende Zentrierung auf das Individuum ohne soziale Kontextbezüge zeigen, und entwickeln Strategien, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Besser informierte Entscheidungen bei der Studienplatzwahl wären dabei nur ein kleiner, wenn auch allen Soziologielehrenden sicher willkommener Nebeneffekt einer Stärkung und Verbesserung soziologischer Allgemeinbildung durch die Schule.
Auf positive Inspiration durch Fremdbeschreibung sollte man zumindest nicht hoffen: Die raren Darstellungen von Soziologinnen und Soziologen in Literatur oder Film helfen nicht wirklich weiter. Zuletzt begegnete mir eine solche Figur in Juli Zehs Roman »Unter Leuten«: Ein Sozialwissenschaftler Ende Vierzig wagt mitsamt Frau und Kind nach Jahrzehnten den Sprung aus der prekären Universitätsexistenz in die brandenburgische Provinz. Der berufliche Neuanfang bei der örtlichen Naturschutzbehörde gelingt, jedoch nicht etwa wegen seiner hochgeschulten Sozioprudenz, die Clemens Albrecht und Joachim Fischer in ihrem Beitrag als Bestandteil soziologischer Bildung erläutern, sondern weil Jahrzehnte der projektförmigen Forschung ihn zum Fachmann für die erfolgreiche Bewältigung noch so komplizierter Antragsformulare für das Einwerben von EU-Geldern haben reifen lassen. Experten und Expertinnen im Beantragen von Fördermitteln auszubilden – das wäre nun wirklich sowohl als Ausgangsmotivation wie auch als Berufsziel soziologischen Wissenserwerbs eine triste Aussicht.
Und sonst so? Es ist wieder Kongressjahr! In diesem Heft finden Sie die Calls zu den Plenen für den 39. DGS-Kongress in Göttingen »Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen« sowie die Ausschreibung für die DGS-Preise. Das Organisationsteam und die Jurys freuen sich auf Ihre Vorschläge.
Ihre
Sina Farzin