Editorial

Autor/innen

  • Sina Farzin

Abstract

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
ich hoffe, Sie sind gut in das Jahr 2021 gestartet. Mit allzu viel Wehmut haben Sie 2020 vermutlich nicht verabschiedet. Oder etwa doch? Denn während man sich alltagsweltlich zunehmend nach weniger Verunsicherung und mehr ›alter‹ statt ›neuer‹ Normalität sehnte, kam und kommt man soziologisch aus dem Staunen kaum heraus: darüber, wie entschieden nationale Politik das soziale Leben in allen Facetten pandemiebedingt regulierte (oder anderenorts eben nicht), wie schnell Alltagsroutinen neu definiert werden können – Händeschütteln wird durch fist bumps und Ellenbogengrüße ersetzt – oder wie tief von Knappheitsphantasmen angetriebene, sehr spezifische Konsumwünsche eigentlich kollektiv blicken lassen. Nicht zuletzt für die soziologische Beschäftigung mit der Wissenschaftskommunikation lieferte das vergangene Jahr Material für gleich mehrere zukünftige Forschungsverbünde. Das vielgescholtene »Defizitmodell«, also die Vorstellung, dass wissenschaftliche Erkenntnisse monologisch aus der Wissenschaft heraus in die Öffentlichkeit vermittelt werden, erschien auf einmal nicht mehr ganz so angestaubt angesichts der Begeisterung, mit der Viele zum Beispiel virologischen Podcasts folgten. Und auch die Unvereinbarkeiten der Funktion und Form wissenschaftlichen und medial inszenierten Streitens, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder für Zündstoff sorgten, dürften noch einiges an kommender sozialwissenschaftlicher Beschäftigung nach sich ziehen.

Jenseits der interessierten Beobachtung und wissenschaftlichen Analyse pandemiebedingter Wissenschaftskommunikation betreffen die tieferliegenden Fragen aber auch die Soziologie selbst. Wie und in welcher Form wissenschaftliche Erkenntnisse jenseits der eigenen scientific community kommuniziert werden sollen oder können und an wen sich solche Kommunikationsangebote überhaupt konkret richten, sind zentrale aktuelle Fragen, die nicht zuletzt durch politische Aufforderungen und neue Vorgaben bei der Verteilung von Drittmitteln an Dringlichkeit gewinnen. Bereits im letzten Heft haben wir von der DGS co-initiierte Stellungnahmen zur aktuellen Debatte um die Wissenschaftskommunikation veröffentlicht, denen sich inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Verbände und Gesellschaften aus unterschiedlichen sozial-, kultur- und naturwissenschaftlichen Disziplinen angeschlossen haben. Der so angestoßene interdisziplinäre Dialog findet seine Fortsetzung auch in diesem Heft, in dem wir eine Online-Diskussion anlässlich des digitalen Workshops zur Wissenschaftskommunikation in den Gesellschaftswissenschaften dokumentieren, den die DGS gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften im vergangenen Herbst organisiert hat. Inwieweit die in der Positionierung der DGS zum Grundsatzpapier des BMBF zur Wissenschaftskommunikation angestrebte Etablierung eines konstruktiven Austauschs mit der Politik gelingt, wird das neue Jahr zeigen.

Herzlich, Ihre
Sina Farzin

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Veröffentlicht

2021-04-01

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