Literarische Produktionsverhältnisse
Zur Erfindung der Soziologie im Publikumsverlagswesen
Schlagworte:
Literatur, Publikumsverlagswesen, WissenschaftsverlagswesenAbstract
Zweifellos changiert die Soziologie seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert zwischen naturwissenschaftlichen und hermeneutischen Orientierungen. Gleichwohl ist kaum zu bestreiten, dass in einer von Literatur und Literaturwissenschaften emanzipierten soziologischen Fachdisziplin diese andauernde Spannung von einem existenziellen Dilemma zu einem methodisch-theoretischen Erkenntnisproblem geschrumpft ist. Wie dieser Beitrag zeigen soll, kehrt das grundlegende Problem einer sozialen Verortung der Soziologie als einer dritten Kultur zwischen Literatur und Wissenschaft (Wolf Lepenies) jedoch dann unmittelbar wieder, wenn man bereit ist, die Selbstthematisierung der Soziologie aus ihren inzwischen institutionell gefestigten innerwissenschaftlichen Bezügen herauszulösen. Einen interessanten Ansatzpunkt für einen solchen wissenschaftssoziologischen und -historischen Perspektivenwechsel bieten historisch variierende Formen der Produktion, Vermittlung und Rezeption soziologischen Wissens im Wissenschafts- und Publikumsverlagswesen.
Certainly, since its foundation in the 19th century, sociology has alternated between scientific and hermeneutic directions. Nevertheless, it can hardly be questioned that in a specialized sociological discipline emancipated from literature and literary studies, this persistent tension has diminished from an existential dilemma to a methodological-theoretical problem of cognition. This article will show, however, that the fundamental problem of a social location of sociology as a third culture between literature and science (Wolf Lepenies) returns immediately if one is able to detach sociology’s self-thematization from its now institutionally consolidated inner-scientific references. An interesting approach to such a change of perspective in the sociology and history of science is offered by historically varying forms of production, mediation, and reception of sociological knowledge in scientific and popular publishing.
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