Editorial
Abstract
In dieses Jahr,liebe Kolleginnen und Kollegen,
fällt ein wichtiges Jubiläum: Die Peanuts werden sechzig. Umberto Eco hat ihren Autor, Charles M. Schulz, einen Poeten genannt. Man könnte ihn auch einen interaktionstheoretisch fokussierten Soziologen nennen. Oder einigen wir uns mit Eco: einen Poeten erfolgreich scheiternder Interaktionen. Denn die kurzen Comics sind für die beteiligten Akteure mangels gemeinsam geteilter Bedeutungen voller Unvorhersehbarkeiten, Missverständnisse und Überraschungen. Und trotzdem geht die Geschichte immer weiter, Charlie Brown bleibt Captain der Baseball-Mannschaft und Lucy in Schroeder verliebt. Insbesondere Snoopy lebt in einer völlig anderen Welt und nimmt am Tun der anderen (Lucy, Linus, Sally, Schroeder, Peppermint Patty ...) sehr erfolgreich teil. Leider ist das Wort »Peanuts« in Folge des unsachgemäßen Gebrauchs durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, in Misskredit geraten. Und stellen Sie sich vor, »Peanuts« wurde darauf 1994 das Unwort des Jahres. Mit Blick auf die Peanuts jedenfalls eine vollkommen verfehlte Entscheidung. Im Übrigen ist das Wort Unwort ein Unwort.
Warum ich all das erwähne? Als Lockerungsübung. Der alte DDR-Kalauer, dass das Sein das Bewusstsein verstimmt, stimmt ja, und da dies zutrifft, ist es kein Wunder, dass in meinen Editorials oft von der sog. Hochschulpolitik, den sog. Studienreformen und den sog. Exzellenzinitiativen die Rede ist.
Manches, das man vorhersehen konnte, beginnt sich bereits abzuzeichnen: Die Umstellung auf BA/MA bringt nicht mehr studentische Mobilität, sondern weniger, nicht kürzere Studienzeiten, sondern längere. Keine Verbesserung der Chancen exzellenten akademischen Nachwuchs zu rekrutieren, sondern ... Aber genau über all das wollte ich ja eigentlich nicht schreiben.
In zahlreichen neuen Studiengängen wird nun ein Kurs »Schlüsselqualifikationen« angeboten. Dahinter steht ganz offensichtlich die Überlegung, dass der akademisch Ausgebildete nicht nur über Wissen verfügen muss, sondern auch lernen sollte, es zu verkaufen. Jetzt werden einige sagen: Das heißt sich verkaufen. Ja, bis zu einem gewissen Grad bedeutet es das – na und? Was ist da Schlimmes dran? Da werden ein paar Grundregeln von Rhetorik vermittelt, es werden power point Präsentationen geübt, ich kenne sogar einen Fall, in dem ein Kurs im Einrichten von Webseiten angeboten wird. Ich halte das alles, solange nicht übertrieben wird, für Schritte in die richtige Richtung. Aber müsste man nicht bei noch grundlegenderen Kulturtechniken ansetzen? Ich versuche, so taktvoll wie möglich zu formulieren, was ich meine: Mit dem e-mail haben sich schriftliche Kontakte zwischen Studierenden und Lehrenden entwickelt, die in Form, Inhalt und Häufigkeit früher nicht denkbar gewesen wären. Schon die merkwürdigen Phantasienamen in den e-mail Adressen (»indianer@...«) sprechen dafür, dass man noch gewisse Probleme hat, sich in der Erwachsenenwelt zu bewegen. Aber das ist eine Nebensache. Mein Eindruck ist generell, dass die meisten Studierenden in der e-mail-Kommunikation mit Profs sehr unsicher sind. Nun könnten sie ja, um auf Nummer sicher zu gehen, e-mails einfach als eine Art des Briefe Schreibens auffassen und in der Form von Geschäftsbriefen kommunizieren. Aber: Ich habe den dringenden Verdacht, dass die überwiegende Mehrheit der Studierenden keine Ahnung hat, wie man ein (einigermaßen) formelles Schreiben verfasst. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich persönlich lege keinen besonderen Wert darauf, formell richtig angeschrieben zu werden. Aber ich lege größten Wert darauf, dass unsere Studierenden wissen, wie das geht. In derselben Logik: Mir persönlich ist das outfit bei Prüfungen egal (nicht ganz), aber mich schaudert, wenn ich mir manche Absolventen in so einer Aufmachung vor einem Personalchef vorstelle.
Liebe Studierende, ich predige hier keineswegs Anpassung. Im Gegenteil. Je besser man solche basalen Kulturtechniken beherrscht, desto weniger ist man ihnen ausgeliefert, desto weniger muss man sich von denen, die sie beherrschen, beeindrucken lassen.
Ihr
Georg Vobruba
PS.: Es ist nun mal so. Neuigkeiten halten sich nicht an den vierteljährlichen Erscheinungsrhythmus unserer Zeitschrift. Schauen Sie bitte darum öfter in die home page der DGS.
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2008-01-01
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Editorial