Editorial
Schlagworte:
Flughafen, ReisenAbstract
Mit Flughäfen,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
müsste sich soziologisch Einiges machen lassen. Ich sammle einfach ein paar Beobachtungen und Ideen. Nichts Besonderes.
Die Anfahrt: Allgemein bekannt dürfte sein, dass die Fahrt zum Flughafen der gefährlichste Teil einer Flugreise ist. Zugleich ist sie der am schlechtesten planbare Teil. Während sich Landungen in der Regel auf die Minute genau vorhersagen lassen, hängt die Fahrt zum Flughafen stark von der Anbindung an die Stadt, vom gewählten Verkehrsmittel und der Tageszeit (Boulevard périphérique!) ab. Darum muss man Zeitpuffer einbauen, was die Gesamtreisezeit deutlich verlängert. Hinzu kommt das Problem der Zufahrtsmöglichkeiten und der Wege bis in den Flughafen. (Warum eigentlich ist Tegel nicht Weltmodell? Die Bus- und Taxiauffahrt in den Kreisverkehr mit Möglichkeiten für einen kurzen Halt, von dem aus man mit ein paar Schritten am Gate ist, scheint mir ideal). Flughafentaxis wären ein eigenes Thema; unter anderem wichtig für die soziologische Selbstbeobachtung; insbesondere all jener, deren international vergleichende Empirie ausschließlich aus Gesprächen mit Taxifahrern stammt.
Das Innere des Flughafens: Ich erinnere mich an einen Bericht im Guardian vor vielen Jahren, in dem der Flughafen Heathrow als »Vorhölle« bezeichnet wurde. Am nächsten Tag war in der Zeitung eine eher kraftlose Entgegnung des Flughafenmanagements, dass es ganz so schlimm vielleicht doch nicht sei.
Flughäfen sind gebaute Regulierungen von Personenströmen. Schon eine kursorische Beschreibung dieser Ströme innerhalb eines Flughafens würde zu interessanten Einsichten und Anschlussfragen führen. Welche Personenströme müssen unterschieden werden? Kunden, Personal, Sonstige.
Wann und an welchen Kreuzungspunkten können/müssen unterschiedliche Personenströme miteinander in Berührung kommen? Welche sind strikt zu separieren? Wie sieht dies im Normalbetrieb aus, wie in Sondersituationen? Vor der Eröffnung eines neuen Flughafens wird das Managen der unterschiedlichen Personenströme tagelang geprobt. Manchmal kommen dabei haarsträubende Fehler zutage, die Umbauten in letzter Minute erforderlich machen.
Im Prinzip geht es darum, die Personenströme möglichst in Fluss zu halten und den Zeitaufwand für den Weg vom Betreten des Flughafens bis zum Zielpunkt (Abfluggate, Arbeitsplatz) möglichst zu reduzieren. Aber nur im Prinzip. Denn Flughäfen haben Zusatzaufgaben, die sich nur erfüllen lassen, wenn man manche Personenströme bremst. Wie sehen die Verbindungen zwischen der Basisaufgabe eines Flughafens (Personen- und Gütertransport) und Zusatzaufgaben (Einzelhandel) aus? Ab wann und warum werden die Zusatzaufgaben zur Behinderung der Grundaufgabe? Dem Vernehmen nach machen Flughäfen den Großteil ihrer Gewinne mit dem Einzelhandel (das kann aber eigentlich nur für Flughäfen mit Transferpassagieren zutreffen.)
Als Einstieg in die Phänomenologie der inneren Abläufe eines Flughafens empfehle ich, »Come fly with me« von und mit David Walliams und Matt Lucas anzusehen.
Entwicklungspfade: Welche Implikationen haben die unterschiedlichen Produktstrategien von Airbus (A380-800 mit max. 853 Passagieren) und Boeing (747-8 mit max. 605 Passagieren) für die Entwicklungspfade des Weltflugverkehrs? Perspektivisch steht dahinter die Alternative zwischen einer globalen Infrastruktur, die entweder aus einigen Megaflughäfen mit sehr hohen Flugfrequenzen und sternförmigen Zubringersystemen besteht oder aus untereinander verbundenen mittelgroßen Flughäfen, was zwar mehr Direktflüge, aber niedrigere Flugfrequenzen bedeutet. Aus jedem der beiden Entwicklungspfade, so meine ich, ergeben sich andere ökonomische, verteilungspolitische, ökologische und wohl auch demokratiepolitische Konsequenzen.
Also. Warum interessiert sich die Soziologie so wenig für Flughäfen, abgesehen von Protest und Widerstand gegen den Ausbau von Startbahnen? Und warum arbeiten so wenige Soziologinnen und Soziologen auf Flughäfen? Ich kenne einen einzigen. 2014 gab es 3,3 Milliarden Fluggäste weltweit (IATA).
Als Hinweis auf eine gewisse Relevanz des Themas müsste das reichen.
Ihr
Georg Vobruba