Editorial
Schlagworte:
Mittelbau, BeschäftigungsverhältnisseAbstract
Mittelbau,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist ambivalent konnotiert. Einerseits legt er die Vorstellung von Stabilität und einem tragenden Element des akademischen Betriebs nahe. Andererseits denkt man an eine Durchgangsstation, an unsichere Aussichten. Klar, es gibt unbefristete Mittelbaustellen, aber die Sozialfigur des »Mittelbauern« (ein extrem blöder Ausdruck) kennzeichnen Kurzzeitverträge, mehr Arbeit als das vertragliche Pensum, eine unsichere Zukunftsperspektive. Unmut und Protest dagegen gibt es seit langem, mal leiser mal lauter. Ich kann viele Kritikpunkte nachvollziehen. Aber alles verstehe ich nicht.
Bruchteil-Stellen mit extrem kurzen Laufzeiten, die bei Wohlverhalten ein paar Mal verlängert werden, sind inakzeptabel. Dagegen vorzugehen ist Aufgabe von Uni-Leitungen, der DFG und anderen Förderern. Über-Arbeit auf Qualifikationsstellen ist akzeptabel, wenn man die Arbeit wirklich gerne tut, oder wenn sie Investition in die eigene Zukunft ist. Ersteres ist von Dritten nicht zu überprüfen und entzieht sich auch der Selbstprüfung, sobald die Norm internalisiert ist, dass jede Arbeit »Spaß machen« muss. Aber jenseits aller Reflexionen über Selbstoptimierung, fremdbestimmte Selbstbestimmung und Dergleichen: Ich habe Zweifel am Spaß beim Aufbereiten von Datensätzen aller Art und beim Verfassen von Stand-der-Forschung-Texten. Zweitens kann man sich solche Arbeiten als nützliche Übung und als Investition in die eigene Zukunft akzeptabel machen. Nur: Dass Mühen der Gegenwart Zukunftsinvestitionen sind, setzt eine Zukunft voraus. Daran zweifeln viele. Allerdings haben wir es nicht mit einem allgemeinen universitätspolitischen, sondern mit einem fächerspezifischen Problem zu tun. Es gibt ja Fächer, in denen man während der Promotionsphase, wenn nicht schon während des Studiums, in uni-ferne Jobs abgeworben wird. Das aber liegt an Besonderheiten einzelner Studiengänge und Arbeitsmarktsegmente und kann sich überdies rasch ändern. Daraus also lässt sich kein allgemein brauchbares Rezept machen.
Lässt sich die berufliche Zukunftsperspektive des akademischen Mittelbaus verbessern? Ich schließe Selbstverstümmelung der Gesellschaft durch bewusstes Absenken der Akademikerquote als ernst zu nehmende Strategie aus. Dann bleiben zwei Optionen.
Erste Option. Eine naheliegende Idee ist, mit welchen Mitteln auch immer, Mittelbaustellen zu verstetigen und Übergänge in unbefristete Arbeitsverhältnisse zu erleichtern. Ich kann leicht nachvollziehen, dass dies für jede und jeden Einzelnen eine attraktive Perspektive ist. Ich vermisse aber eine ernsthafte Diskussion des Problems, dass die Erfüllung solcher Forderungen einer Kohorte auf Kosten der Chancen der nächsten Kohorten geht.
Darauf mit der Forderung nach mehr Geld (vom Steuerzahler) zu antworten, überzeugt nicht. Dann wären eben nicht nach der ersten, sondern nach der dritten oder vierten Kohorte die Karrierewege verbaut. Die Realisierung dieser Option führt zuerst zu mehr Sicherheit und schafft dann eine harte Insider-Outsider-Problematik, möglicherweise verbunden mit Sklerose-Effekten für das Fach insgesamt.
Zweite Option. Eine andere Idee ist, die exklusive Orientierung des Doktorats auf Wissenschaftslaufbahnen an der Universität aufzugeben. Diese Idee ist wenig zeitgemäß. Denn die gegenwärtigen wissenschaftspolitischen Steuerungsversuche gehen dahin, dass sich nur jene auf das Doktorat einlassen sollen, die wirklich an der Uni etwas vorhaben. Als Standardabschluss für akademisch Ambitionierte mit Karriereplänen außerhalb des Wissenschaftssystems ist der Master vorgesehen. Die Kehrseite dieser Zentrierung des Doktorats auf eine universitäre Wissenschaftskarriere ist das verdeckte Versprechen, dass man tatsächlich an der Uni bleiben kann. Dieses Versprechen ist prekär. Zum einen ist das akademische System ist nicht in der Lage, all die hochqualifizierten Dr.s zu absorbieren, die individuell, in Projekten und Graduate Schools produziert werden. Das Versprechen lässt sich nicht einlösen. Und zum anderen wird spätestens in der Dr.-Ausbildung das Leistungs- und Vorstellungsvermögen so eingeengt, dass sich die jungen Leute tatsächlich nichts anderes als eine Unilaufbahn vorstellen können – und meist nichts anderes können.
Übrigens: Warum »Selbstverstümmelung der Gesellschaft«? Zahlreiche ungute gesellschaftliche Entwicklungen der Gegenwart haben eines gemeinsam: Politiker mit autokratischen Ambitionen, die sich mit schwach Gebildeten gegen den Rest der Gesellschaft verbünden. »I love the poorly educated.« (D. Trump) Dagegen scheinen Akademikerinnen und Akademiker einen gewissen Schutz darzustellen, den ihnen freilich kaum jemand dankt. Ein gewisser Akademikerüberschuss ist schlecht für die Betroffenen und gut für die Gesellschaft, da er unruhige Intellektuelle erzeugt. Ich weiß nicht, was ich von dem Argument halten soll.
Ihr
Georg Vobruba