Ideologie(-Kritik) und Rechtfertigung: Das Beispiel der Vorurteilskritik
Schlagworte:
Ideologie, Vorurteile, Diskriminierung, Kritik, Rhetorik, AbwehrAbstract
In diesem Beitrag wenden wir den Ideologiebegriff auf das Feld der Vorurteils- und Diskriminierungsforschung an. Hierbei nehmen wir eine kommunikationstheoretische Perspektive ein, in deren Zentrum Phänomene der Rhetorik und Rechtfertigung stehen. Im Anschluss an Überlegungen der kritischen Theorie sowie der diskursiven Psychologie möchten wir zunächst das Verhältnis von Ideologie und Rechtfertigung bei der Bestimmung des Ideologiebegriffs hervorheben. Im Anschluss daran begreifen wir Vorurteile als rhetorisches Phänomen, das durch bestimmte ideologische Rechtfertigungsmuster charakterisiert ist.
Im Fokus unserer Erörterungen steht allerdings nicht das Vorurteil selbst, sondern die Kritik von Vorurteilen, die wir zunächst als eine Form der Ideologiekritik bestimmen. Ausgehend von dieser Bestimmung zeigen wir, wie Vorurteilskritik hinter die methodologischen Anforderungen ideologiekritischer Praxis zurückfallen und unter bestimmten Bedingungen selbst ideologische Züge annehmen kann.
Veranschaulichen möchten wir dieses Phänomen anhand einiger vorläufiger Ergebnisse einer Inhaltsanalyse des Mediendiskurses über die „antisemitische Schmierwelle“ des Winters 1959/1960. Im politischen Diskurs über die damalige massive Häufung antisemitischer Aktionen lassen sich diverse Formen abwehrender Vorurteilskritik aufzeigen, die die Kritik von Antisemitismus als gesellschaftliches Problem systematisch unterlaufen.
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