Sinnliche Wahrnehmungsweisen technisch reproduzierter Stimmen
Zur Wechselwirkung von Materialitäten, Hörpraxen und eigenleiblichem Spüren
Schlagworte:
Sinneswahrnehmung, doing perception, Hörweisen, rekonstruktive InterviewanalyseAbstract
Viele Gegenstände sind bereits von der praxistheoretischen Wende erfasst und durch neue Lesarten dekonstruiert worden: Geschlecht, Behinderung, Ethnie etc. Selbiges steht für die menschliche Wahrnehmung noch aus. Doch auch in diesem Feld lassen sich anthropologische Gesetzmäßigkeiten hinterfragen. Empirisch fundiert unternehme ich in meiner Studie Hören als Praxis (Schulz 2018) einen Versuch der Neubestimmung. Resultat ist das Konzept des doing perception, das die deutende Haltung gegenüber der eigenen Sinnlichkeit als maßgeblich für das (hergestellte) Eigenleibliche Spüren ausweist.
Der Beitrag verhandelt meinen integrierten, dispositivanalytischen Forschungsansatz. Dieser bezieht Helmut Plessners philosophische Anthropologie (exzentrische Positionalität, Verkörperungsfunktion, Sinngebungsformen) ein und geht gleichzeitig über sie hinaus. Er öffnet sich über einen weit gefassten Wissensbegriff in Richtung des gegenwärtigen Medien-Alltags (seinem technologisch wie leiblich gebundenen Wissensbeständen). Auch die Halbdinge in Form menschlicher Stimmen (Hermann Schmitz) verkörpern kulturelle Wissensvorräte, wobei deren leiblich-affizierende Wirkung je nach situativer Aneignungspraxis variiert. Aktives Zuhören begreife ich schließlich als ein passives leibliches Handeln, das insoweit gelingt, wie sich die leibliche Gestimmtheit in die atmosphärische Stimmung (Gernot Böhme) eines akustischen Textes einschwingen kann.
Hörpraxen lassen sich – so die Ergebnisse meiner Studie – mit Walter Benjamin als ein Trainingsfeld begreifen und danach unterscheiden, wie sie sich aus den verschiedenen materiell-technologischen, diskursiv-symbolischen und affektiven Anteilen zusammensetzen. Während die eine Hörpraxis vom leiblichen Empfinden eines angenehmen Stimmklangs motiviert ist, wird eine andere Hörpraxis von einem gesellschaftlich vermachteten Körperwissen (bürgerlicher Schriftkultur und deren Körperfeindlichkeit) strukturiert, das diese Affizierung tendenziell verurteilt.
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