Über den Wandel des Politischen

Die Demokratie im Zangengriff von autoritärem Populismus und autoritärem Kapitalismus

Autor/innen

  • Silke van Dyk Institut für Soziologie, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Schlagworte:

Rechtspopulismus, Demokratie, Autoritärer Kapitalismus, Soziale Ungleichheit

Abstract

Mit dem Brexit-Votum, dem Wahlsieg Donald Trumps, der Regierungsbeteiligung der FPÖ oder dem Erstarken der AfD in Deutschland tritt mit aller Dringlichkeit vor Augen, dass rechtspopulistische und nationalistische Kräfte auf dem Vormarsch sind. Die sich gegenwärtig manifestierende Krise der repräsentativen Demokratie ist jedoch nur halb zu verstehen, wenn der Blick einseitig auf die Kräfte des autoritären Populismus gerichtet wird. Die Demokratie der Gegenwart wird vielmehr im Zangengriff von autoritärem Populismus und autoritärem Kapitalismus herausgefordert, denn die liberale Markttechnokratie ist ebenso wie der autoritäre Populismus radikal antipluralistisch: Wo der populistische Politiker behauptet den Willen des Volkes zu verkörpern, präsentiert sich der liberale Politiker als Übersetzer der Einheitsalternative des Marktes. Demokratie zerstörend ist dabei nicht nur das Postulat der Alternativlosigkeit, das im Sinne der Marktlogik den für die Demokratie zentralen politischen Streit, wie Wirtschaft und Gesellschaft organisiert sein sollen, stillstellt; die seit Jahrzehnten in den frühindustrialisierten Ländern zunehmende soziale Ungleichheit überträgt sich zudem auf das politische System: Menschen mit geringen ökonomischen und Bildungsressourcen beteiligen sich signifikant seltener an Wahlen und nehmen noch seltener an anderen politischen Aktivitäten teil.

Das Vorhaben des Beitrags, den demokratiegefährdenden Zangengriff von autoritärem Populismus und autoritärem Kapitalismus zu analysieren, soll dabei nicht auf ein einfaches Ableitungsverhältnis hinauslaufen, wie es in Erklärungsversuchen des Rechtspopulismus derzeit vermehrt zu beobachten ist: Die Annahme, der autoritäre Populismus sei eine ‚einfache‘ Rebellion bzw. Notwehr der ökonomisch Abgehängten, negiert die komplexen Bedingungsfaktoren und die eigenständige Bedeutung rassistischer Ideologeme und führt deshalb – so das zentrale Argument des Beitrags – ebenso in eine Sackgasse wie die Ausblendung der sozio-ökonomischen Kontextbedingungen der Demokratiekrise.

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Veröffentlicht

2019-10-07

Zitationsvorschlag

[1]
van Dyk, S. 2019. Über den Wandel des Politischen: Die Demokratie im Zangengriff von autoritärem Populismus und autoritärem Kapitalismus. Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen. Verhandlungen des 39. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Göttingen 2018. 39, (Okt. 2019).

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Rubrik

Sektion Politische Soziologie: Populismus und die ›Krise‹ der Demokratie