Bürger- und Klimageld als Wende zu einer generationengerechteren Sozial- und Klimapolitik?

Autor/innen

Schlagworte:

Klimapolitik, Sozialpolitik

Abstract

Der Krieg in der Ukraine sowie die anschließenden wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen führten nach wenigen Wochen zu inflationär steigenden Energie- und Mobilitätskosten in Deutschland. Sie haben innerhalb wie zwischen Einkommensgruppen der Haushalte zu gravierenden finanziellen Belastungen bei Bürgerinnen und Bürgern geführt und machten sozialpolitische Sofortmaßnahmen der Regierung erforderlich. Die milliardenschweren Entlastungspakete der Ampelkoalition machten deutlich, dass die bisherigen Prinzipien traditioneller sozialpolitischer Instrumente immer stärker in Konflikt geraten mit der Einhaltung klimapolitischer Zielvorgaben. Die notwendige Dekarbonisierung von Industrie- und Energieproduktion sowie beim Mobilitätsverhalten erfordern künftig „neue“ Formen eines Sozialausgleichs, der vor allem der Einlösung der Klimaziele verpflichtet bleibt. Trotz berechtigter Kritik an manchen klimapolitischen Fehlanreizen des Entlastungspakets gelang der Einstieg in die Einführung eines Energie- oder Klimageldes als künftigen Sozialausgleich und unbürokratischen Weg für Direktzahlungen noch in diesem Jahr. Dies ermöglicht einen entsprechenden Auszahlungsweg für künftige Pro-Kopf-Entlastungen (negativer Einkommenssteuer) nahezu aller Bevölkerungsgruppen. Neben bedarfsorientierten Transferzahlungen an einkommensschwache Haushalte mit vergleichsweise geringen Anreizen zu Energieeinschränkungen werden folglich Vorschläge diskutiert, die mit Grundeinkommensmodellen kompatibel wären. Wir sehen dies als einen weiteren Schritt in Richtung eines „stillen“ Wandels hin zum universalistischen Grundsicherungsstaat.

Das im Koalitionsvertrag beschlossene Klimageld bedarf derzeit noch einen beschleunigten Aufbau eines entsprechenden Ordnungsrahmens (konkret eines Registers), um künftig direkte Auszahlungen unbürokratisch und umfassend tätigen zu können.

Die klimapolitischen Ziele sowie bislang vorliegende empirische Studien zu Präferenzen, Ausgestaltung wie Umsetzung einer Abfederung von steigenden Energiekosten werden hinsichtlich bisheriger sozialpolitischer Verteilungsprinzipien sowie einer wohlfahrtsstaatlichen Transformation eingeordnet.

Autor/innen-Biografie

Jürgen Schupp, DIW Berlin und Freie Universität Berlin

Senior Research Fellow am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Soziologie am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Sektion Sozialpolitik und Sektion Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologe: Ungleichheitseffekte klimapolitischer Maßnahmen und die Rolle der Sozialpolitik