"Man wirft der DDR ja viel Negatives vor"

Bildungserfahrungen im Spannungsfeld von biographischen Erinnerungen und kollektivem Wissen

Autor/innen

  • Michael Corsten Universität Hildesheim
  • Melanie Pierburg Universität Hildesheim

Schlagworte:

DDR, Bildung, Zeitzeugenschaft, Biographieforschung, Positionierungsanalyse

Abstract

In unserem Beitrag setzen wir uns mit der Frage auseinander, wie Spannungsverhältnisse zwischen biographischen Erfahrungen und gesellschaftlichen Diskursen narrativ bewältigt werden können. Dazu greifen wir auf Datenanalysen zurück, die wir in dem Projekt Mythen in erzählten Bildungs- und Kindheitserfahrungen der DDR vornehmen. Anhand eines Falles rekapitulieren wir, wie ein Interviewter nach der Wiedervereinigung von unterschiedlichen Bildungserfahrungen in der DDR berichtet, die er über die Komposition von erzählter Zeit und Erzählzeit mit dem vorherrschenden kollektiven Wissen verbindet. Dabei entwickelt er drei Motive, die sich auf seinen Deutschunterricht, sein Engagement in der Evangelischen Studentengemeinde und die schulöffentliche Bekanntmachung des Putsches in Chile 1973 beziehen. In unserer Rekonstruktion zeigen wir, wie der Interviewte über Positionierungen in der erzählten Zeit und der Erzählzeit sowie unterschiedlichen Zuschreibungen von Zeitzeugenschaft ein Positionierungstableau entwirft, in dem seine biographische Perspektive einen anerkennungsfähigen Platz erhält.

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Film

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Sektion Biographieforschung: Polarisierende Gesellschaftsgeschichte(n) – polarisierte Gedächtnisse