Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
Latente Widersprüche und offene Konflikte
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WissZeitVGAbstract
Die Auseinandersetzungen um die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben in jüngster Zeit noch einmal an Schärfe gewonnen. So wurde im März 2022 nach einem Proteststurm, der erstmals auch von Professor:innen mitgetragen wurde, ein ministeriales Konzeptpapier zur Neufassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) umgehend zurückgezogen, und der im Juni 2023 vorgelegte Referentenentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wird bislang nicht von der gesamten Regierungskoalition unterstützt. Der vorliegende Beitrag versucht einerseits, diejenigen latenten Widersprüche und offene Konfliktlagen zu identifizieren, die eine adäquate Überarbeitung des in Frage stehenden Gesetzes entscheidend erschweren. Zum anderen verfolgt er das Ziel, die im Referentenentwurf des BMBF vorgeschlagenen Neuerungen – v.a. den Mechanismus einer Anschlusszusage – vor dem Hintergrund personalstruktureller und organisationaler Rahmenbedingungen einzuschätzen und dabei insbesondere zu fragen, ob die erneute Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ohne eine grundlegende Reform der Personalstruktur überhaupt erfolgreich sein kann.
The disputes over the working conditions of academic staff at universities and research institutions have recently become even more acute. In March 2022, after a wave of protest also supported by professors, a ministerial concept paper on the revision of the Fixed-Term Academic Contract Act (WissZeitVG) was immediately withdrawn, and the most recent draft presented by the Federal Ministry of Education and Resarch (BMBF) in June 2023 has not yet been supported by the entire governing coalition. On the one hand, this article attempts to identify those latent contradictions and open conflict situations that make an adequate revision of this law so difficult. On the other hand, the article aims to assess the innovations proposed in the BMBF’s draft – especially the mechanism of a follow-up commitment – against the background of personnel structure and organizational framework conditions. Finally, we discuss whether the renewed amendment of the Fixed-Term Contract Act can be successful at all without a fundamental reform of the personnel structure.
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