Prekäre Wissensarbeit im akademischen Kapitalismus
Strukturen, Subjektivitäten und Organisierungsansätze in Mittelbau und Fachgesellschaften
Keywords:
Prekäre Beschäftigung, Beschäftigungsverhältnisse, Mittelbau, Wissenschaft als BerufAbstract
Die Beschäftigungssituation des nicht-professoralen wissenschaftlichen Personals ist hochgradig prekär, die beruflichen Perspektiven sind extrem unsicher und doch sind die ›Betroffenen‹, die mit Leib und Seele Wissenschaft betreiben (wollen), mit hohem Engagement und Begeisterung forschend und lehrend tätig. Die paradoxe Situation dieser oft pauschal als Nachwuchs infantilisierten prekär-mobilen Wissens- und Bildungs-arbeiter_innen spitzt sich durch die Ökonomisierung der Hochschulen im akademischen Kapitalismus zu. Diese medial und im innerwissenschaftlichen Diskurs weithin als problematisch wahrgenommene Lage wird im Aufsatz umrissen und hinsichtlich der Auswirkungen auf Beschäftigte und die Wissenschaft befragt. Auf der Grundlage dieser Analyse wird erörtert, welche Möglichkeiten und Grenzen für die Erringung von Handlungsmacht für den akademischen Mittelbau bestehen. Als schwierige Herausforderungen für kollektive Interessensartikulation der Forscher_innen erweisen sich insbesondere ihre geringe Konfliktfähigkeit und die Gewöhnung an niedrige Beschäftigungsstandards. Am Beispiel von Initiativen, insbesondere innerhalb der wissenschaftlichen Fachgesellschaften wie der DGS, wird dargestellt, wie Organisierungsansätze sich der beschriebenen Ausgangssituation stellen, mithin: wie sich das akademische Prekariat unter widrigen Umständen organisieren kann.
The employment conditions and career perspectives of non-professorial researchers in Germany are highly precarious but also characterised by the extraordinary commitment and enthusiasm of this group often infantilised as »juniors«. Commodification in academic capitalism worsens this paradox condition of the precarious-mobile knowledge workers. The paper analyses this situation, which is widely considered problematic (in the media and in academia itself), as well as its effects on research and researchers. On the basis of this analysis the article discusses opportunities and limits for this group to achieve capacity for collective action. This workforce is challenging to organise because of its restricted agency and its tendency to easily accept low employment standards. The article then examines organising approaches which reflect the outlined structural situation of the academic precariat with a special focus on initiatives within scientific associations.
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