Soziologische Spuren im Verschwörungsdenken

Autor/innen

  • Georg Vobruba

Schlagworte:

Verschwörungsdenken

Abstract

Soziologie und Verschwörungsdenken haben den Anspruch gemeinsam, die sozialen Verhältnisse zu erklären. Allerdings unternehmen sie das im Rahmen diametral entgegengesetzter Logiken. Die Soziologie bietet relationale Erklärungen an, im Verschwörungsweltbild dagegen wird alles auf die bösen Intentionen eines mächtiges Handlungszentrums zurückgeführt. Dies bringt dem Verschwörungsdenken Erklärungsprobleme, die es durch Lügenvorwürfe und das Behaupten von Gegenwahrheiten zu neutralisieren versucht. Dadurch freilich wird eine Dynamik in Gang gesetzt, in der dem Verschwörungsdenken die Wirklichkeit Schritt für Schritt verloren geht. Diese Dynamik wird in dem Beitrag rekonstruiert, um der Frage nach Ähnlichkeiten zwischen Verschwörungsdenken und Soziologie sowie deren Ursachen nachzugehen. Ergebnis sind einerseits soziologisch informierte Einsichten in die Dynamik von Lügen und Wirklichkeitsverweigerung, andererseits Spuren soziologischer Argumentationen im Verschwörungsdenken, die zu soziologischer Selbstreflexion anregen sollten.

Sociology and conspiracy thinking claim to explain society in common. However, they do so within the framework of diametrically opposed logics. Sociology offers relational explanations, whereas in the conspiracy worldview, everything is attributed to the evil intentions of a powerful center of action. This creates explanatory problems for conspiracy thinking, which it attempts to neutralize by accusing the mainstream of lying and by asserting counter-truths. However, this sets in motion a dynamic in which conspiracy thinking gradually loses touch with reality. This dynamic is reconstructed in the article in order to pursue the question of similarities between conspiracy thinking and sociology as well as their causes. The results are, on the one hand, sociologically informed insights into the dynamics of lies and the denial of reality and, on the other hand, traces of sociological argumentation in conspiracy thinking, which should encourage sociological self-reflection.

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Veröffentlicht

2025-07-02

Ausgabe

Rubrik

Identität und Interdisziplinarität

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