Editorial

Autor/innen

  • Georg Vobruba

Abstract

Unter mechanischen Aufstiegshilfen,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
versteht man im wesentlichen Schlepplifte, Sessellifte und Kabinenseilbahnen. Die Soziologie hat sich bisher kaum um mechanische Aufstiegshilfen gekümmert. Das ist bedauerlich. Denn vor allem der Sessellift stellt ein interessantes soziales Phänomen dar.
In grauer Vorzeit bestanden Sessellifte aus einzelnen Sitzen, eigentlich eher Metallstühlen mit Holzsitzfläche, die an einem Zugseil hingen. Zum Sesselliftfahren gehörte ein eigentümliches Soggefühl nach unten. Denn die Beine baumelten während der Auffahrt 10 bis15 Meter über dem Abgrund, da die Lifte ursprünglich keine Fußstützen hatten. Die kamen später dazu, gemeinsam mit einem Metallbügel vor dem Bauch, verbunden mit einer Plastikabdeckung. Ersterer gegen das Absturzgefühl, letztere um die Beine etwas vor Kälte zu schützen. Rückblickend, im Lichte der späteren Entwicklung, spricht man auch vom Einersessellift. Man war auf sich alleine gestellt.
Historisch früh kam dann die Blüte der Sesselliftentwicklung. Der Doppelsessellift. Die soziologische Forschung sollte den Doppelsessellift als realisierten Idealtypus mechanischer Aufstiegshilfen vor allem zur Winterzeit begreifen. Der Doppelsessellift stellt eine Gelegenheitsstruktur für vielerlei Formen kommunikativen Handelns unter verschärften Umweltbedingungen dar. Man fror zu zweit.
Der Doppelsessellift war aufstiegshilfenmäßig lange Zeit das Maß aller Dinge. Dann kam der Dreierlift. Aber anders als der an Georg Simmel geschulte soziologische Sachverstand vermuten mag, bedeutete das Hinzutreten (eigentlich: Dazusetzen) von Dritten keine Anreicherung sozialer Beziehungen. Man konnte sich von nun an nur noch über Banales (Schnee, Wetter) unterhalten oder schweigen. Den Verlust, den der Dreierlift mit sich brachte, erkennt man schon daran: Wenn er nur von zwei Touristen benützt wird, bleibt in aller Regel der mittlere Sessel frei. Dass dies aus Gründen des Gleichgewichts erfolge, ist eine alteuropäische, völlig unangemessene Vorstellung. Tatsächlich manifestiert sich darin eine Verwässerung, Trivialisierung des Sozialen.

Es kann nicht verwundern, dass dann in rascher Folge eine Inflation der Bestuhlung, bis hin zum 10er-Sessellift, stattfand. Parallel dazu entstanden neue Technologien, welche die Sesselreihen in den Tal- und Bergstationen vom rascher laufenden Tragseil auskoppeln, abbremsen und so ein bequemeres, gefahrloses Ein- und Aussteigen ermöglichen. Dadurch fallen heute alle Möglichkeiten weg, Mitfahrenden am Beginn und am Ende der Liftfahrt helfend unter die Arme zu greifen, oder – je nachdem – sich darüber zu amüsieren, wie sie mit dem Sessel kämpfen. Man sieht: Entschleunigung als Verlust von Gelegenheiten. Bemerkenswert ist schließlich, dass zuklappbare Plexiglaskuppeln, so genannte Bubbles, erst zur Zeit der Multisessellifte entwickelt wurde, und nicht bereits für den Doppelsessellift. Es ist dies möglicherweise als ein ärgerliches Ungleichzeitigkeitsphänomen interpretierbar.
Ich hoffe mit diesen Hinweisen, die hier freilich aus Platzgründen skizzenhaft bleiben müssen, deutlich gemacht zu haben, dass der Sessellift ein Forschungsgegenstand der Soziologie sein kann, dessen sich mindestens die Techniksoziologie, die Raum- und Agrarsoziologie, die Umweltsoziologie, die Sportsoziologie, die Geschlechterforschung, die Jugend- und Familiensoziologie, die Soziologie generativen Verhaltens, vielleicht auch die Medizinsoziologie annehmen sollten. Als Einstieg stelle ich mir teilnehmende Beobachtungen und Interviews an Einer- bis Zehnerliften vor. Erstrebenswert wäre ein vergleichender Ansatz mit Schifahrer*innen und Snowboarder*innen.
Später, nachdem sich das Forschungsfeld einigermaßen konsolidiert hat, sollte ein SFB schon drin sein.

Ihr
Georg Vobruba

 

 

PS.: Der Schlepplift ist ein Auslaufmodell, hat allenfalls als Babylift Zukunft; für die Kabinenseilbahn könnte die sozialwissenschaftliche Fahrstuhlforschung fruchtbar gemacht werden.

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Veröffentlicht

2014-04-01

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